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Analyse VAR by Ole Paulsen

Die dunkle Seite des VAR: Wie der Video-Assistent den Spielfluss zerstört

Das Prinzip ist ganz einfach. Sobald der Schiedsrichter einen Fehler macht, der in Verbindung mit einem Tor, einem Elfmeter oder einer roten Karte steht, schaltet sich der VAR ein und macht ihn darauf aufmerksam. Auch wenn ausversehen ein falscher Spieler verwarnt wird, greift der VAR ein. Gemeinsam mit seinen zwei Assistenten kann der VAR auf mehrere Perspektiven zurückgreifen und die Szene in unterschiedlichen Geschwindigkeiten analysieren. Wichtig ist hierbei aber, dass der VAR lediglich eine Empfehlung aussprechen kann. Der Schiedsrichter auf dem Platz kann der Empfehlung ohne Kontrolle vertrauen oder sieht sich die Szene selbst an einem Monitor an. Der Video Assistant Referee, kurz VAR, wurde aus einem einzigen Grund eingeführt: er soll klare Fehlentscheidungen verhindern und das Spiel somit gerechter machen. Doch ist der Fußball durch die VAR-Technologie wirklich gerechter geworden oder schadet sie dem Sport mehr, als sie nützt?

Jeder Eingriff des Schiedsrichters in das Spielgeschehen schadet dem Spielfluss. Wenn sich die Unterbrechungen, wie beim VAR, auch noch über mehrere Minuten in die Länge ziehen, ist nicht nur das Tempo des Spiels und die damit verbundene Attraktivität betroffen. Nein, vielmehr führt diese Entwicklung zum Verlust der Emotionen bei Zuschauern und Fans. Jedes Tor wird ausführlich auf ein Vergehen in der Entstehung untersucht, woraufhin die Fans erstmal verhalten jubeln, bis der Treffer bestätigt wird. Doch dieser unsichere, von Zweifeln geprägte, Jubel, ist nicht ansatzweise so schön und ausgelassen wie wir Fußballfans es lange Zeit gewohnt waren und weshalb sich viele Fans in diesen Sport verliebt haben. Doch kommen wir nun zum Thema Spielfluss. Bevor der VAR eingeführt wurde, hat sich wahrscheinlich kein Fan vorstellen können, wie oft und lange das Spiel in der Praxis unterbrochen werden wird. Das eine vermeintliche Abseitssituation teilweise mehrere Minuten Kontrolle nach sich zieht, hätten die wenigsten erwartet. Doch die Auswirkungen auf den Spielfluss sind immens. Dabei steht die Attraktivität des Fußballs auf dem Spiel, denn der Sport im Allgemeinen wird immer schneller und intensiver, während der VAR das Gegenteil verursacht.

Europameisterschaft 2024: Störende Szenen

Schauen wir uns doch ein paar Szenen der Europameisterschaft 2024 an, die verdeutlichen, wie sehr der VAR den Spielfluss stört. Im Achtelfinalspiel Deutschland gegen Dänemark, sind die Dänen, nach einem Gestocher im deutschen Strafraum, 1:0 in Führung gegangen. Die Szene wurde so lange kontrolliert, bis der VAR eine vorangegangene Abseitssituation von Thomas Delaney feststellen konnte und das Tor somit nicht anerkannt wurde. Mit den neuesten technischen Hilfsmitteln und unterschiedlichen Kameraperspektiven hat die Überprüfung der Situation immer noch eine gefühlte Ewigkeit gedauert. Dabei stellt sich die Frage, ob ein Tor, das minutenlang gecheckt werden muss, um ein Vergehen festzustellen, wirklich irregulär sein sollte? Im Sinne des Spielflusses auf keinen Fall. Wenn die beschriebene Situation in einem Spiel stattfindet, bei dem dein eigenes Team mitspielt, ist die Wartezeit vielleicht noch so gerade zu ertragen, vor allem wenn die Entscheidung zum Vorteil deiner Mannschaft ausfällt. Doch als neutraler Zuschauer sind die Wartezeiten viel zu lang.

Ein weiteres Beispiel, wie sehr der VAR den Spielfluss beeinträchtigt, gab es im Eröffnungsspiel zwischen Deutschland und Schottland zu sehen. Der Schiedsrichter hat ein hartes und ziemlich offensichtliches Foulspiel des Schotten Ryan Porteous an Ilkay Gündogan, im Strafraum der Schotten, übersehen. Daraufhin meldet sich der VAR und macht den Schiedsrichter auf die Situation aufmerksam. Der Schiedsrichter guckt sich nun das Vergehen selbst am Monitor an und kommt zu dem Entschluss, Elfmeter zu geben und zusätzlich rot für den schottischen Verteidiger. Das diese Szene überhaupt erst durch den VAR aufgedeckt wurde, veranschaulicht ein weiteres Problem. Porteous tritt Gündogan fast das Schienbein durch und der Schiedsrichter lässt das Spiel laufen. Das zeigt, dass Schiedsrichter lieber erstmal das Spiel laufen lassen und im Zweifel die Hilfe des VAR in Anspruch nehmen, anstatt eigenständige Entscheidungen zu treffen, die sich eventuell als falsch herausstellen. Das gleiche Problem haben die Linienrichter. Diese lassen ganz klare Abseitssituationen lieber erstmal weiterlaufen, denn so können sie im Nachhinein immer noch korrigiert werden. Andersherum können Abseitsentscheidungen der Linienrichter, wenn erstmal die Fahne gehoben wurde und der Stürmer aufhört weiter zu spielen, nicht mehr rückgängig gemacht werden. Dieses passive Verhalten der Schieds- und Linienrichter macht natürlich Sinn und ist absolut nachvollziehbar. Das Problem und der Auslöser dieser zeitraubenden Entwicklung ist der VAR.

Zukunft des VAR: Was erwartet uns?

Doch haben wir die Spitze des Eisbergs schon erreicht oder worauf müssen wir uns im Zuge der Entwicklung des VAR noch einstellen? Welche Gefahren hält der VAR in Zukunft noch für uns bereit? Mit Blick auf die Kommerzialisierung im Fußball in den letzten Jahren ist nichts mehr ganz auszuschließen. Was passiert wenn die Pausen und Spielunterbrechungen durch den VAR so erhalten bleiben oder gar noch länger andauern? Ist es wirklich undenkbar, dass in der Wartezeit während VAR-Entscheidungen zukünftig Werbung abgespielt wird? Keineswegs! Vielmehr würde es einen doch wundern, wenn es nicht irgendwann soweit kommt. Und wenn dieser finanzielle Vorteil erstmal von den Streaming-Diensten ausgeschöpft wird, rückt die Abschaffung des VAR in immer weitere Ferne.

Die Intention des VAR ist gut. Jeder Fußballfan ist daran interessiert, den Sport so fair und attraktiv wie möglich zu machen. Doch nun ist es an der Zeit festzustellen, dass die Nachteile der Technologie überwiegen. Das Spiel mag minimal gerechter geworden sein, doch die Attraktivität leidet dermaßen unter dem VAR und den daraus entstehenden Verzögerungen, dass der Fußball zu viel von seinem ursprünglichen Charme verloren hat. Der Fußball hebt sich durch die Emotionalität der Fans von anderen Sportarten ab. Das ist die Essenz des Fußballs und sollte auf keinen Fall zugunsten der Technologie aufs Spiel gesetzt werden.

Ole Paulsen

Analyse von Ole Paulsen

Freier Sportjournalist

www.olepaulsen.de

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